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[su_spoiler open=“yes“ title=“HERONS – Reiher | taz online vom 26.04.06″ style=“fancy“] HERONS – Reiher
von Simon Stephens
Ein Theaterstück über Gewalt unter Jugendlichen

taz online vom 26.04.06 | Von Christine Wahl
Kein einziger falscher Ton
Zwei Theaterinszenierungen fesseln das jugendliche Publikum, gerade weil sie keine Zugeständnisse an die Fernsehästhetik machen: „Die Kindertransporte“ in der Regie von Hans-Werner Kroesinger, „Herons – Reiher“ in der Regie von Anna Zimmer

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Erlaubtes Maximalgewicht: zehn Kilo. Mit einem Gepäckstück von dementsprechend überschaubarer Größe sitzen vier Menschen auf der Bühne und spielen „Ich packe meinen Koffer“. Eva ist augenscheinlich praktisch veranlagt und denkt zuerst an ihre Schuhe, während Lydia einen frühen Hang zum Müßiggang erkennen lässt und „Brettspiel“ sagt. Fritz löst mit seinem Bekenntnis zum Marzipanschwein Irritation aus. Und für Caspar ist das Allerwichtigste seine Badehose – obwohl er schon seit einer Ewigkeit in Berlin nicht mehr schwimmen gehen durfte.
Caspar, Eva, Lydia und Fritz gehören zu den 196 jüdischen Kindern, die im November 1938 mit dem ersten Kindertransport vom Schlesischen Bahnhof aus nach Großbritannien ausreisten. Regisseur Hans-Werner Kroesinger konfrontiert im Theater an der Parkaue Zuschauer von zehn bis fünfzehn Jahren mit dem Schicksal der etwa 10.000 Kinder und Jugendlichen, für deren zeitweilige Aufnahme die britische Regierung nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 ihre Grenzen öffnete. Kroesinger ist eine wichtige Figur im zeitgenössischen deutschsprachigen Dokumentartheater – seine Projekte zum Deutschen Herbst, zum Kosovo-Krieg, zur südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission oder zur Bombardierung Dresdens waren vor allem deshalb zeitgemäß, weil sie nicht der Illusion einer historischen Wahrheit erlagen, sondern durch die kluge Konfrontation verschiedener Perspektiven den Blick für die Mechanismen schärften, nach denen so etwas wie Wahrheit erst konstruiert wird.
„Die Kindertransporte“ ist Kroesingers erste Arbeit im Kinder- und Jugendtheater. Und: Er ist nicht von seinem Anspruch abgerückt, hat keine falsch verstandenen Jugendlichkeitszugeständnisse gemacht. Die Zuschauer erfahren, dass die Kinder auch in England mit antisemitischen Vorurteilen konfrontiert waren; dass die Ankunft in London mit der Demütigung einer Besichtigungssituation einherging, wo wohlmeinende Pflegeeltern sich die hübschesten Flüchtlingskinder aussuchten, während die Pummeligen und Pickligen stundenlang sitzen blieben.
Dass Kroesinger jenen peinigenden Pseudo-Teenie-Jargon, mit dem in die Jahre gekommene Jugendtheaterregisseure gern krachledern an der Zielgruppe vorbeischießen, einfach vermeidet, hat etwas Wohltuendes. Ebenso wie die Entscheidung, dass die erwachsenen Schauspieler hier nicht unter Aufbietung sämtlicher Zappelphilipp-, Knatsch- und Kulleraugen-Ressourcen Kinder imitieren müssen: Hier stehen Erwachsene auf der Bühne, die sich an ihre Kindheit erinnern. Was Kroesingers Inszenierung so groß macht, ist, dass er das Theater nicht an die Fernsehästhetik verrät, sondern auf dessen Charakteristika – die vergleichsweise Langsamkeit, die genretypischen Übersetzungs- und Verdichtungsprozesse und die Textzentriertheit – vertraut.[/su_column]
[su_column size=“1/2″]Ähnliches gilt auch für die Inszenierung „Herons – Reiher“ am Jungen Schlossplatztheater. In Simon Stephens‘ Gegenwartsstück über Gewalt unter Jugendlichen sagen Teenager ganz beiläufig Sätze wie: „Manchmal wünsch‘ ich mir, ich wär‘ noch in der Grundschule. Da bin ich immer gerne hingegangen.“ Und halbwüchsige Jungs waschen ihren Vätern die Klamotten und legen ihnen morgens frische Hemden heraus, damit sie nicht schweißstinkend zur Wohnungsbesichtigung oder beim Arbeitsamt erscheinen. Es ist ein Riesenverdienst des britischen Dramatikers, dass keine seiner Figuren unter Sozialkitschverdacht fällt. Und es ist eine Riesenleistung des jungen Schlossplatztheaters unter der Regie von Anna Zimmer, „Herons – Reiher“ genau so unpathetisch und differenziert auf die Bühne gebracht zu haben.
Gespielt wird in einer unsanierten Fabrikhalle in Oberschöneweide. Ohne Bühnenzauber und Requisiten entfaltet sich das Geschehen auf einer Multifunktionstreppe. Zimmer vertraut ausschließlich auf die Fähigkeiten ihrer Darsteller – was umso mutiger ist, als hier fast ausschließlich Nonprofis auf der Bühne stehen. Die Jugendrollen hat sie altersgerecht besetzt, die Darsteller unter vierzig berlinweiten Schauspieltalenten ausgewählt. Das Resultat ist absolut überzeugend. Vom sensiblen Billy (Eric Golub) über den gewaltbereiten Alpha-Boy Scott (Jakob Plutte) bis zu seiner zweifelnden Freundin Adele (Christina Gatterer): kein einziger falscher Ton.
Bei beiden Premieren zeigten die jugendlichen Zuschauer weder Ermüdungs- noch Überforderungssymptome. Das gibt Regisseuren wie Kroesinger und Zimmer gegenüber denjenigen in der Branche Recht, die unermüdlich das Niveau herunterschrauben.
taz online vom 26.04.06[/su_column][/su_row]

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[su_spoiler title=“Billy wehrt sich gegen Gewalt | Neues Deutschland online vom 27.04.06″ style=“fancy“]
Authentisch und ziemlich hart: »Herons«, eine Inszenierung vom Schlossplatztheater Köpenick

Neues Deutschland online vom 27.04.06 | Von Robert Meyer

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Verprügelt, gedemütigt. Billy hat die Schnauze voll und schlägt zurück: Er drückt seinem Peiniger eine Pistole an den Kopf und spielt mit ihm eine Art Russisches Roulett, bis dieser vor lauter Angst seelisch zusammenbricht. Eine Lösung? In Billys Welt ist es eine, und das ist so fatal. Es ist wohl wohl die einzig mögliche Antwort, um endlich mal Respekt zu erfahren.
Angst und Rituale, Perspektivlosigkeit und Aggression, Gewalt und Sex – mit »Herons« hat der englische Dramatiker Simon Stephens die Kreisläufe jugendlicher Gewalt präzis nachempfunden.
Eine wirkliche harte Inszenierung, die das Köpenicker Schlossplatztheater in einer Fabrikhalle in Oberschöneweide auf die Bühne bringt. Ein Fisch hängt am Haken. Mit diesem symbolgeladenen Bild wird für das sehr beeindruckende und äußerst authentisch gespielte Stück geworben, das in dem verfallenen Industriegebäude, in der kultur-kantine / TRAFo e.V., aufgeführt wird und allein schon dadurch auf den Zusammenhang Gewalt und Perspektivlosigkeit hinweist. »Herons« (deutsch: Reiher) unter der Regie von Anna Zimmer zeigt den unaufhaltsamen Rhythmus von Gewalt und Gegengewalt, Übergriffen und Vergeltungsakten. Das ist eingebunden in die Geschichte von Billy, dessen Vater bedroht wird, weil er einen Mord angezeigt hat.
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[su_column size=“1/2″]Scott, der Bruder des Mörders, traktiert mit seiner Gang Billy, der gerne an einem Kanal im Londoner Eastend sitzt. Das Stück wirft die Frage auf, wie die Zukunft von Jugendlichen wohl aussehen kann, deren Kindheit bereits durch Gewalt geprägt ist. Außer zwei Erwachsenen (Billys Eltern) spielen nur Jugendliche. Die Schauspieler sind Gerhard Dlugay, Christina Gattereer, Eric Golub, Jakob Plutte, Daniel Schlesener, Katharina Schwarz, Serkan Tuerkkan.
Billys Welt ist keine, in der man sich frei fühlen kann. Er hatte mit Adele angebandelt, die Scott abgewiesen hatte. In einem Anfall heftiger Wut vergewaltigt daraufhin Scott Billy mit einer Bierflasche. Billy sitzt in sich zusammengesunken da wie ein kleines Kind. Er ist aber nicht gebrochen.
Adele versucht, ihn auf das Geschehene anzusprechen, doch Billy schämt sich furchtbar. Und dann packt ihn die Wut. Nun lässt Billy Scott fühlen, was es heißt, ein Opfer zu sein.
»Herons« – auch ein Lehrstück über offene und verdrängte Angst – macht ziemlich klar, wie Angst schnell in Aggression umschlagen kann. Aggression, so wird klar, hat die fatale Eigenschaft, dass sie sich immer wieder neue Inhalte sucht, um sich selbst am Leben zu erhalten. Angst hat gefälligst immer nur der andere zu haben.

Neues Deutschland online vom 27.04.06[/su_column]
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[su_spoiler title=“Die Reise zum Mond | Kulturadio von RBB“ style=“fancy“]

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Viele Bühnenwerke Jacques Offenbachs harren bis heute ihrer Wiederentdeckung. Dieser Zustand ist insofern unverständlich, als seine zündende Musik voller Witz und Esprit – eine gute Aufführung vorausgesetzt – durchweg für einen Erfolg gut ist, auch wenn er – wie im Falle der Reise zum Mond – in kurzer Zeit eher routiniert Musik abgeliefert hat. 1875 ging es darum, den Erfolg, den Jules Vernes Roman Von der Erde zum Mond hatte, auszunutzen. Das Ergebnis war eine aufwendige Ausstattungs-Revue mit Mondkanone, Vulkanausbruch, Schneeflockenballett und vielem mehr.

Dergleichen von der Aufführung des Berliner Schlossplatztheaters zu verlangen, wäre vermessen: Muss die Off-Theater-Bühne, die gestern ihr 10-jähriges Bestehen feiern konnte, doch nach wie vor um Mittel und Zuwendungen kämpfen. Viel privates Engagement und Selbstausbeutung gehören zum Alltag, und so war die gestrige Premiere vor allem ein Dankeschön an die Freunde und Förderer der Bühne. Da kann es nicht der Ehrgeiz des Theaters sein, große Opern und Operetten nachzustellen. Viele Lorbeeren hat man sich mit Kindertheater-Aufführungen verdient, und in eine entsprechende Richtung ging die Spielfassung des Schlossplatztheaters, die mit drei Sängerdarstellern und Klavierbegleitung auskommt. Eine kindgerechte Geschichte von einer Königsfamilie wird erzählt: Die Eltern sind zerstritten und vernachlässigen den Sohn, und als der zu viel nervt, soll er auf den Mond geschossen werden. Dumm nur, dass die Eltern ebenfalls in der Rakete landen. Auf dem Mond ist vieles anders, aber nur äußerlich: Dort lebt ebenfalls eine zerstrittene adlige Familie, allerdings mit Tochter. Nach vielen Komplikationen gibt es ein Happy End mit drei (!) glücklichen Paaren.
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[su_column size=“1/2″]Wie dergleichen mit nur drei Darstellern zu bewältigen ist, bewies Gerald Gluths sehr genau gearbeitete, geradezu detailversessene Inszenierung. Nicht nur die schnellen Kostümwechsel beeindruckten, sondern die Vielfalt an szenischen Möglichkeiten, die für jede Situation sinnvoll genutzt wurde. Von Clownerie über absurdes Theater, Surrealismus bis hin zu Elementen der Commedia dell’Arte war alles vertreten. Einen komödiantischer Höhepunkt bildete die Szene auf dem Mond, in der die Prinzessin ihre Eltern erzieht und diese zu blödsinnigen Spielen nötigt, die diese als im wahrsten Sinne begossenes Gemüse mit angewidertem Gesicht über sich ergehen lassen müssen. Daneben gibt es auch einen wunderbar ruhigen Moment, wenn beide Kinder ihre Liebe zueinander entdecken. Wunderbar sind auch die einzelnen Charaktere gezeichnet: vom überfordert-doofen König über eine hysterisch-herrische Königin bis zum verspielt-unerfahrenen Prinzen. Eine Aufführung, die mit ihren fantasiereichen Details Kinder durchaus bei Laune halten kann – zwei „Mondmonster“, die sich als ferngesteuerte Fahrzeuge in Form einer Schildkröte und eines Fantasieprodukts, eine Art Panzer mit Megaphon, entpuppen, sind nur einer von vielen Einfällen. Allerdings dürften v. a. kleine Kinder mit der Fülle und dem Anspruch der Anspielungen und dem teilweise wahnwitzigen Tempo der Aufführung Schwierigkeiten bekommen. Für Erwachsene ist die Produktion ein vergnüglicher Spaß, zumal nie Langeweile aufkommt und in den 75 Minuten mehr Ideen umgesetzt werden als in manch anderer Inszenierung, die drei Stunden dauert.

Erfreulich, dass man sich nicht für singende Schauspieler, sondern für professionell ausgebildete Sänger entschieden hat. Birgit Wagner, Klaus Wegener und Ingo Volkmer bilden ein intonationssicher agierendes Ensemble. Insbesondere Birgit Wagner bewältigt ihre Arien, deren Koloraturen manch gestandenen Opernsänger in Schwierigkeiten bringen können, mit einer bemerkenswerten Schwerelosigkeit, die beim „Mond“-Sujet in doppelter Hinsicht passend ist.

Eine witzige, kurzweilige und v. a. handwerklich hervorragende Inszenierung, die von einer unterfinanzierten Off-Theater-Bühne nicht unbedingt zu erwarten war.
Andreas Göbel, Kulturradio am Morgen

Kulturadio vom RBB[/su_column]
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[su_spoiler title=“Alice im Wunderland | Berliner Morgenpost, Morgenpost 6.11.04″ style=“fancy“]

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Das große weiße Kaninchen, der Hutmacher, die Herzkönigin und Humpty Dumpty, der immer Angst hat von der Mauer zu fallen – die Figuren, die Alice auf ihrer Reise durch das Wunderland trifft, kennen wahrscheinlich viele aus ihren Kindertagen. Dabei behaupten Menschen wie Virginia Woolf, Lewis Carrolls berühmtestes Buch sei kein Kinderbuch. Ausdrücklich an beide, Kinder ab zehn und Erwachsene, richtet sich die Berliner Erstaufführung von „Alice im Wunderland“ in der Bearbeitung von Roland Schimmelpfennig und nach Carroll. Schimmelpfennig, der zu den meistgespielten deutschen Dramatikern gehört, hebt die Vielschichtigkeit des Textes hervor und die Welt mit ihren absurden Spielregeln. Neben den unterhaltsamen Abenteuern der kleinen Alice geht es in dem Stück um die Suche nach Identität und die Frage, wer überhaupt Regeln bestimmen kann. Die Wesen, denen Alice begegnet, bringen sie in Bedrängnis, weil sie unangenehme Fragen stellen, die sie aber auch selbstbewußt werden lassen.

Berliner Morgenpost

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[su_column size=“1/2″]Alice für starke Nerven
„Keine Zeit“, ruft der Typ in weißem Look. Aha, das muß wohl das Kaninchen sein. Mit Fächer und Handschuhen, doch ohne Raffzähnchen, Löffelohren oder Schwanzpuschel. Mit Verniedlichung hat das Köpenicker Schloßplatztheater im Stück „Alice im Wunderland“ nichts am Hut. Dessen Berliner Erstaufführung feierte gestern Premiere.

Die Dramaturgie für die Geschichte nach Lewis Carroll (1832-1898) lieferte Roland Schimmelpfennig, dessen Name immer wieder auf Spielplänen renommierter Theater zu finden ist. Entstanden ist eine Inszenierung für Kinder ab zehn Jahren, die bereits eine gewisse Alice-Bekanntschaft voraussetzt.

Zuschauer begegnen einer Titelfigur, die einen krassen Kontrapunkt zum niedlichen, rundlichen Blondinchen verkörpert, das in Filmen und Büchern als Alice durch die Traumwelt geistert: Eike-Harriet Riga spielt und singt einen selbstbewußten Bubikopf, dessen Alice-Klischee lediglich vom pinkfarbenen Tüllrock und den roten Lackschuhen bedient wird.

Dem Sturz in den Irrgarten folgen skurrile Begegnungen in einer Welt voller Absurditäten. Alice trifft auf den verrückten Hutmacher und die durchgeknallte Königin (Marlies Ludwig in einer Doppelrolle). Sie ist verwirrt von der Grinsekatze Diedeldei und der Raupe (Ingo Volkmer). Hier ein Schlückchen aus der Flasche, dort ein Bissen vom Kuchen: Alice schrumpft und wächst, ist mal riesig groß, dann winzig klein. Das körperliche Hin und Her wird zur Grundsatzfrage nach dem Ich. Selbst die Gedanken geraten aus den Fugen.

Amüsant dabei: Der lockere Umgang mit klassischer Prosa. Der endet bei dem Versuch, Goethes „Erlkönig“ aufzusagen, in einem Vers um ein bröselndes Brötchen. Klassik kommt dosiert auch ins Spiel. Einen Mix aus Liedern bietet vor allem die arienerprobte Alice-Darstellerin. Der Grinsekatze wiederum ist ein Blues-Song auf den Leib geschnitten. Die Figur der Königin, deren Kopf eine Backform ziert und deren Schleppe aus scheppernden Tellern besteht, setzt den Skurrilitäten die Krone auf.

Zur Fürstin der Qual, die Pfeffer wie Koks inhalierend im Kochtopf rührt, avanciert sie und verleiht der Reise ins Wunderland eher den Anstrich eines Horrortrips. Wirklich nichts für kleine Kinder!

Morgenpost[/su_column]
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